Ist der VfGH ein „politisches Gremium“?

Gerade jetzt, wo neue Richterinnen und Richter für den Verfassungsgerichtshof (VfGH) bestellt werden sollen, wird deutlich, wie groß dabei der Einfluss der politischen Parteien ist (siehe Post 5).  

Verfassungsgerichte stehen schon immer politisch im Brennpunkt. Und als der VfGH mit der Bundesverfassung 1920 geschaffen wurde, hat man ihn auch als sehr „politisches“ Gericht organisiert. Um Verfassungsrichter (damals nur Männer) zu werden, musste man nicht einmal Recht studiert haben! Einer der Verfassungsrichter von damals, Friedrich Austerlitz, war gleichzeitig sogar Abgeordneter zum Nationalrat und Chefredakteur der Arbeiterzeitung, der Tageszeitung der Sozialdemokratischen Partei (https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Austerlitz). Vor allem weil die konservativen und nationalen Parteien ihn los werden wollten, wurde der VfGH 1929 „entpolitisiert“. Seitdem können nur mehr Juristinnen und Juristen Mitglied werden. 

Aber auch wenn die Bestellung der Mitglieder eine hochpolitische Frage ist, und wenn Entscheidungen des VfGH große politische Bedeutung zukommen kann, so ist der VfGH doch ganz klar ein Gericht. Denn er kann (wie jedes andere Gericht) nicht von sich aus tätig werden. Es muss immer einen konkreten Fall geben, den er zu entscheiden hat. Er kann auch nur diesen Fall entscheiden und nicht – wie das Parlament – Gesetze erlassen, die für alle gelten. Und er muss immer eine Entscheidung nach genauen Verfahrensregeln treffen. Der VfGH kann nicht (wie die Politik) sagen: „Lassen wir das einmal.“ 

Auch die geforderte hohe fachliche Kompetenz der Mitglieder und die Tatsache, dass sie bis zum Erreichen des 70. Lebensjahres im Amt bleiben und sich keiner Wiederwahl stellen müssen stärkt ihre Unabhängigkeit. 

Eines wird aber noch am Beispiel des VfGH deutlich: Rechtliche Fragen haben immer auch eine politische Dimension. Verfassungstexte und Gesetzestexte können unterschiedlich verstanden werden, und ihr Verständnis kann sich im Lauf der Zeit verändern. 

In Österreich hat man sich in dieser Situation dafür entschieden, dass der VfGH in seinen Entscheidungen immer einheitlich auftritt. In Deutschland oder in den USA werden einer Entscheidung aber auch die abweichenden Meinungen einzelner Richterinnen oder Richter angeschlossen. Auf diese Weise will man die Diskussionen und Sichtweisen transparent machen.