Sprechen wir über Subsidiarität

Wenn es um die Zukunft der EU geht, fällt oft das Wort „Subsidiarität“. Dazu heißt es, dass sich die EU wieder auf einige Kernaufgaben beschränken soll, und andere Aufgaben wieder alleine von den Mitgliedstaaten erledigt werden sollen.

Subsidiarität kommt vom lateinischen Wort subsidium, das Hilfe oder Reserve bedeutet. Es ist ein Organisationsprinzip, dass – kurz gefasst – besagt, dass die jeweils größere gesellschaftliche oder staatliche Einheit nur dann tätig werden soll, wenn die kleinere Einheit dazu nicht in der Lage ist. Dieses Prinzip wurde zum einen in den Kirchen (vor allem in der katholischen Soziallehre), zum anderen in der Organisation von Bundesstaaten im 19. Jahrhundert ausformuliert.

Im Bereich der EU hat Subsidiarität aber eine ganz eigene Bedeutung bekommen. In den EU-Verträgen wird genau geregelt, wer wofür zuständig ist: In manchen Bereichen gibt es heute nur mehr eine Zuständigkeit der EU, Regeln für alle Mitgliedstaaten zu erlassen. Das sind vor allem Zölle, Wettbewerb und Handelspolitik. In anderen Bereichen wie Binnenmarkt, Landwirtschaft, Verkehr, Umwelt oder Sicherheit gibt es geteilte Zuständigkeiten. Solange man sich nicht dafür entscheidet, etwas gemeinsam zu regeln, können die Mitgliedstaaten jeweils eigene Regelungen treffen.

Wann immer es einen Vorschlag gibt, etwas gemeinsam zu regeln, muss eine Subsidiaritätsprüfung vorgenommen werden. Zuerst ist zu fragen, ob die Verträge eine gemeinsame Regelung erlauben. Dann ist zu fragen, ob es besser wäre das gemeinsam oder in den Mitgliedstaaten zu machen. Schließlich ist zu fragen, in welcher Art und in welchem Umfang eine Regelung getroffen werden soll.

Es geht also in erster Linie darum, was jetzt gemeinsam geregelt werden kann und soll, und nicht darum, ob die Aufgaben zwischen EU und Mitgliedstaaten neu verteilt werden sollen. Dazu müsste die Aufgabenverteilung insgesamt neu gemacht werden.

Bei der Subsidiaritätsprüfung kommt auch den Parlamenten der Mitgliedstaaten eine wichtige Rolle zu. Sie können gleich zu Beginn der Diskussion über einen Gesetzgebungsakt der EU Stellung nehmen, ob sie eine gemeinsame Regelung für sinnvoll erachten oder nicht. Wenn ein Drittel aller Parlamentskammern (wo ein Parlament wie in Österreich zwei Kammern hat, hat jede eine Stimme; ansonsten hat ein Parlament zwei Stimmen) Bedenken hat, muss die Kommission ihren Vorschlag „überdenken“. Sie ist aber nicht gezwungen, ihn zu ändern. Wenn die Hälfte der Kammern Bedenken hat, muss genau erklärt werden, warum eine gemeinsame Regelung besser sei. Dieser Fall ist aber noch nicht eingetreten.

In Österreich bestimmt die Bundesverfassung, dass Nationalrat und Bundesrat in diesem Verfahren gleichberechtigt sind. Sonst wird der Bundesrat ja immer als „schwächere Kammer“ gesehen. Das hat übrigens bewirkt, dass der Bundesrat europaweit zu den aktivsten Parlamentskammern zählt, wenn es um die Subsidiaritätsprüfung geht.