Warum ist die Bundesregierung zurückgetreten?
So viele verschiedene Bundesregierungen und Bezeichnungen dafür wie 2019 gab es schon lange nicht mehr in Österreich: „Übergangsregierung“, „ExpertInnenregierung“, „Beamtenregierung“, „einstweilige Bundesregierung“. Und jetzt hat es gewissermaßen wieder einen „Regierungswechsel“ gegeben, auch wenn er eher unbemerkt geblieben ist: Am 1. Oktober 2019 hat Bundespräsident Alexander van der Bellen die „Regierung Bierlein“ mit der „Fortführung der Amtsgeschäfte“ betraut.
Es ist in Österreich üblich, dass die Bundesregierung, die sich zur Zeit der Nationalratswahlen im Amt befindet, dem Bundespräsidenten ihren Rücktritt anbietet. Das ist in vieler Hinsicht ein Ritual, das unabhängig vom Wahlergebnis vollzogen wird. Auch dann, wenn die Partei des bisherigen Bundeskanzlers Wahlsiegerin ist, wird der Rücktritt angeboten und angenommen.
Damit wird die enge Verknüpfung von Bundesregierung und Nationalrat im parlamentarischen Regierungssystem zum Ausdruck gebracht. Mit der Neuwahl des Nationalrates soll es auch zu einer neuen (oder zumindest erneuerten) Bundesregierung kommen. Ein Festhalten des Bundespräsidenten an der „alten Regierung“ (was ganz verfassungsgemäß wäre), wäre politisch und in den Medien wohl nur schwer zu vermitteln.
Die Bundesverfassung schreibt aber vor, dass alle obersten Organe des Staates immer funktionieren müssen. Wenn eine Bundesregierung zurücktritt, muss es sofort eine neue Bundesregierung geben. Dafür sieht Artikel 71 B-VG vor, dass der Bundespräsident auch eine „einstweilige Bundesregierung“ mit der „Fortführung der Verwaltung“ betrauen kann.
Der einstweiligen Bundesregierung dürfen nur Mitglieder der scheidenden (also jetzt „zurückgetretenen“) Bundesregierung sowie allenfalls leitende Beamtinnen bzw. Beamte des jeweiligen Ministeriums angehören. Der Bundespräsident kann nur jemanden aus diesem Personenkreis auswählen. Eine/r von ihnen wird mit dem Vorsitz betraut. Wichtig ist: Der Bundespräsident ist an die bestehende Organisation der Bundesministerien gebunden. Er kann also nicht neue Bundesministerien schaffen. Es gibt noch eine Besonderheit: Wenn der Bundespräsident eine neue Bundesregierung ernennt oder die Regierung umgebildet wird, soll sie sich gleich im Nationalrat vorstellen. Dieser soll die Möglichkeit haben, die Regierung sofort anzuhören, zu befragen und ihr auch das Misstrauen auszusprechen. Die einstweilige Bundesregierung ist aber nicht verpflichtet, sich vorzustellen (man „kennt sich ja schon“).