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SOZIALSTAAT

Oft wird in politischen Diskussionen oder in den Medien von „sozialer Gerechtigkeit“ gesprochen. Jeder Mensch hat wohl eine – wahrscheinlich unterschiedliche – Vorstellung davon, was soziale Gerechtigkeit ist.

Sozialstaatlichkeit als Staatszweck

Nur eine Rechtsordnung, die auch ein gewisses Mindestmaß an sozialer Gerechtigkeit sichert, schafft die Voraussetzung für ein friedliches Miteinander der einzelnen Bürgerinnen und Bürger und vermeidet damit letztlich soziale Spannungen, die im schlimmsten Fall zu einem Bürgerkrieg führen und damit das staatliche System grundlegend erschüttern könnten.

Soziale Gerechtigkeit ist eine den expliziten Regelungen auf verfassungsrechtlicher und einfachgesetzlicher Ebene vorausgelagerter Inhalt und Zweck der staatlichen Rechtsordnung. Die Wege zur Erreichung dieses Zieles liegen aber in einer Demokratie zu einem großen Ausmaß im Gestaltungsspielraum des demokratisch legitimierten Gesetzgebers und damit beim Parlament. Der Verfassungsgerichtshof, der die Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen kann, betont daher immer wieder, dass es ihm nicht zustehe, seine eigenen Wertungen an Stelle jener des Gesetzgebers zu setzen.

Die Schaffung von sozialer Gerechtigkeit ist aber kein verfassungsrechtliches Staatsziel der Republik Österreich. Es gibt in der Verfassung also keine Definition, wonach die österreichische Republik ein sozialer Rechtsstaat ist. In anderen Staaten der Erde gibt es demgegenüber derartige Bestimmungen in der Verfassung.

Was leistet der Staat in sozialer Hinsicht?

Dennoch zeigt sich in vieler Hinsicht, dass die österreichische Verfassung von einem in sozialer Hinsicht aktiven Staat ausgeht. Weit über 90 Prozent der österreichischen Bevölkerung sind in der gesetzlichen Sozialversicherung erfasst und genießen damit einen wichtigen Schutz in den Fällen von Krankheit, Unfällen und dem Alter.

Dieses sehr umfassend ausgestaltete Sozialversicherungssystem wird ergänzt durch Regelungen zur sozialen Mindestsicherung, mit denen sichergestellt werden soll, dass Personen, die kein Einkommen, aber auch keine sonstigen Leistungen vom Staat beziehen (etwa Arbeitslosengeld), eine entsprechende Unterstützung erhalten. Dies kann in Geldform, aber auch in Form von Sachleistungen (etwa Kleidung) bestehen. Der Anspruch auf soziale Gerechtigkeit als Schutz vor Krankheiten, Unfällen, Alter und Armut wird schwerpunktmäßig durch Gesetze auf Bundes- und Länder-Ebene verwirklicht. Der Großteil dieser Regelungen soll sicherstellen, dass eine Person, wenn sie krank ist, einen Unfall hatte, alt ist und daher nicht mehr arbeiten kann oder von Armut betroffen ist, einen gesetzlichen Anspruch auf finanzielle oder sonstige Unterstützung hat.

Grundrechte und Sozialstaat

Die österreichische Verfassung enthält keine sozialen Grundrechte. Solche wären etwa das Recht auf Wohnen oder das Recht auf Arbeit. Die Einführung derartiger Rechte wurde immer wieder diskutiert, aber bislang nicht verwirklicht. Aber warum nicht? Es wird erstens befürchtet, dass festgeschriebene und einklagbare soziale Grundrechte für alle Menschen vom Staat nicht finanzierbar wären.

Zweitens besteht die Sorge, dass solche Rechte zu unkonkret wären, damit etwa der Verfassungsgerichtshof in nachprüfender Kontrolle darüber entscheiden könnte. Man spricht in diesem Zusammenhang auch davon, dass es an der „Justiziabilität“ dieser Rechte mangelt.

Die österreichische Grundrechtsordnung enthält aber andere Grundrechte, die bestimmte Rechtspositionen sichern: der Verfassungsgerichtshof hat festgestellt, dass das Grundrecht auf Eigentum auch bestimmte Ansprüche gegenüber dem Staat sichert. Das ist dann der Fall, wenn Gegenleistungen bestehen, was bei den meisten Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung der Fall ist. Kürzungen derartiger Ansprüche sind daher auch ein Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum. Ein zweiter Sicherungsmechanismus ist der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz, der verlangt, dass die Gesetze sachlich sein müssen, also keine ungerechtfertigten Ungleichbehandlungen von Personen bewirken dürfen. Dieses Grundrecht schützt in bestimmter Hinsicht erworbene Rechtspositionen vor unmittelbaren und abrupten Kürzungen und sichert damit den Vertrauensschutz. Außerdem verlangt dieses Grundrecht, dass staatliche Leistungen in sachlicher Weise ausgestaltet werden. Es darf daher keine unsachlichen Ausschlüsse bestimmter Personengruppen von staatlichen Leistungen geben. Insoweit enthält auch die österreichische Grundrechtsordnung sehr wichtige sozialstaatliche Elemente.

Bindung und Kontrolle

Dies bedeutet aber auch, dass nur staatliche Leistungen zuerkannt werden, die im Gesetz vorgesehen sind. Diese Gesetzesbindung bezieht sich aber nur auf die hoheitliche Verwaltung. Der Staat hat aber auch andere Instrumente zur Verfügung, wo er ganz ähnlich wie die Bürgerinnen und Bürger handeln kann. Man nennt das Privatwirtschaftsverwaltung. So kann auch der Staat etwa Verträge abschließen. Mit derartigen Verträgen werden in vielen Fällen auch Förderungen vergeben, die einen sozialstaatlichen Gehalt besitzen. So werden etwa bestimmte Leistungen der sozialen Mindestsicherung in den Landesgesetzen in privatrechtlicher Form vergeben. Der Staat schafft in diesen Fällen auch mit den Mitteln des Privatrechts soziale Gerechtigkeit. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass dadurch, dass in diesen Fällen keine strikte Bindung an diese entsprechenden Gesetze gegeben ist und diese nur allgemeine Vorgaben regeln, in der Regel keine durchsetzbaren Ansprüche auf Erhalt solcher Leistungen bestehen. Es ist heute aber bereits klargestellt, dass die grundrechtliche Bindung des Staates, die auch in den Fällen der Privatwirtschaftsverwaltung besteht, ihn daran hindert, auch bei solchen Leistungen unsachlich vorzugehen. Die staatliche Grundrechtsordnung sichert damit einen breitflächigen und wirksamen Schutz, der auch durch die Gerichte kontrolliert wird.

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